© Fischer- und Schifferverein Klingenberg e.V.
Die Gondel
Die venezianische Gondel ist ein besonderes, ein zartes, ein
ganz sensibles Wesen, schiffbaulich gesehen eine Elfe, so
etwas wie eine Lolita unter allen Schiffen.
In der historischen Entwicklung ist sie erst einmal nichts
weiter als ein Rudernachen, also etwas Gewöhnliches. Aber
große Maler haben die Gondola in wertvollen Bildern
dokumentiert und damit wurde sie in ihrem Aussehen zur
Tradition verurteilt. Schiffbauliche Beschreibungen oder
gar Zeichnungen sind nicht
allgemein überliefert.
Es gab nur dürftige
Aufzeichnungen eines
Galeerenbaumeisters aus dem
Arsenal.
In Bildern dokumentiert ist,
dass die Gondel bis ins 18. Jahrhundert noch von zwei
Gondolieri bewegt wurde.
Hier ein Bild von etwa 1590
Aus der Gondel in allen möglichen Größen und für alle
möglichen Zwecke wurde im Laufe der Zeit die Standard-
Gondel für glückstrahlende Touristen. Die heutigen Haupt-
abmessungen sind inzwischen stets gleich: L= 10,75 m, B =
1,38 bis 1,75 m Spantab-
stand 0,27 m.
Die Bauausführung wurde über Jahrhunderte perfektioniert.
Aus mindestens sechs verschiedenen Hölzern wird sie
gebaut. Die beiden oberen Planken sind aus Eiche, was
beim Anlegen mehr Robustheit bietet. Auch die Spanten
sind aus Eiche. Kiefer nimmt man für den Boden und das
vordere Deck, das quillt stärker auf und dichtet damit bes-
ser. Der untere Seitengang und das hintere Deck sind aus
Lärche gearbeitet. Sitzbänke werden aus Nussbaum oder
auch aus Kirsche hergestellt. Für die Innenbretter nimmt
man Ulme. Linde braucht man für die geschnitzten
Verzierungen. Die Riemenblatt ist aus Buche, die
Riemenstange und auch die Riemengabel, Forcola genannt,
sind aus
Nussbaum. Das ist Schiffbautechnologie in Hochkultur.
Aber der Antrieb! Schlimm, was sich da entwickelt hat.
Wenn zwei Mann auf beiden Seiten rudern, dann ist das ja
sehr effektiv. Aber das was jetzt praktiziert wird...
Mit dem Niedergang der Venezianischen Größe als
Seemacht wurde alles etwas armseliger in der schönen,
reichen Stadt. So kam es, dass man Personal einsparte und
den vorderen Gondolieri wegrationalisierte.
Andert man aber mit dieser Personaleinsparung nicht die
Antriebs- (Ruder-)
Technik, dann kommt so etwas Sonderbares heraus, wie
eine heutige Gondel - krumm und schief.
Mit nur einem Ruderer hinten auf Steuerbord will ia die
Gondel dauernd nach Backbord weg gieren. Besonders weil
die eingetauchte Schiffslänge im kiellosen flachen Boden ja
sehr kurz, und das Schiff damit nicht sehr kursstabil ist.
Dem beugte seit 1860 der Gondelbauer Dominico Tramentin
vor. Er entwickelte eine asymmetrische Rumpfform, die so
krumm ist,
dass das Schiff von sich
aus immer nach Stb drehen
will und damit gleicht sich
der Antriebsdrall immer
aus. Diese Form ist seitdem
tradiert und wird nun
immer so gebaut werden
müssen, bis in alle
Ewigkeiten. Sonst wäre es
keine Gondel.
Damit kommt der Schwerpunkt etwas aus der Mitte, das
Schiff krängt leicht nach Stb. Wenn aber der Gondoliere auf
seinem Platz steht, ist das wieder ausgeglichen.
Ein anderer Effekt ist je-doch, dass das Boot in Fahrt nach
Stb giert, weil die Stb-Bordwand etwas kürzer ist und
damit wie bei einem Profilruder (oder bei einer
Flugzeugtragfläche) ein horizontaler Auftrieb nach Bb
entsteht an einem Lateralschwerpunkt, hinter dem
taktischen Drehpunkt.
Die Steuerbordseite ist im Hauptspant 24 cm schmaler als die
Backbordseite.
Würde man das Schiff schleppen, dann
hinge seine Mittellinie nie in Linie mit
dem Schleppstrang, man würde
erkennen, dass es sich etwas schräg in
den Kurs stellt und damit ja auch
etwas mehr Widerstand im Wasser
hat.
Der ganze Antrieb funktioniert also in
einem recht komplizierten
Zusammenhang, in welchem die
Kopflastigkeit der Gondel, das
Gewicht des Gondoliere, die auf seine
Körpermaße hergestellte Forcola, die
Riemenstellung, die
vorwärtswuchtende Körper-bewegung,
der Linksverkehr in engen Kanälen, das
nachhilfsweise Abstoßen mit den
Beinen von den Hauswänden und was
auch immer noch für Mysterien
zusammenwir-ken. Vielleicht sogar ein
schmelzendes: „O sole mio".