© Fischer- und Schifferverein Klingenberg e.V.
Die sensibilität der Venezianerin
Grazil, eigentlich gar eher graziös, elysisch, zart,
tänzerisch, kapriziös, labil, exzentrisch, launenhaft,
mondän im Karneval auch närrisch und sensibel, sensibel
wie keine Frau auf der Welt ist sie, die Venezianerin. Die
Gondola.
Ina Mierig, Gondoliera in Hamburg
www.diegondel.de
Das kann man nur beurteilen, wenn man es mit eigenen
Beinen erfahren hat. Und das erfährt man natürlich auch
nur, wenn man in den Beinen eine Sinneswahrnehmung hat
und auf dem schwankenden Deck leichtfüßig wie ein
Fechter einen instruktiven Eiertanz eingeübt hat.
Es ist klar, sie hat eine ganz kleine Lateralfläche, also einen
ganz flachen Bauch. Lange ausladende Enden, vorne und
hinten. Den taktischen Drehpunkt genau richtig in der
Mitte zwischen den ausladenden Enden. Und eine
Hebelarmkurve, sanft ansteigend, vielleicht sogar mit einer
negativen Anfangsstabilität. Herumtollende Kinder oder
Betrunkene kann sie nicht haben. Für ihre Stabilität ist ihr
ein engumschlungenes Liebespaar, schön Mitte Schiff und
ohne Gezappel und Gestrampel am liebsten.
Wir erinnern uns an die fachliche Disputation um den Bau
und den Antrieb der venezianischen
Gondel, und ob da nicht Wriggeln besser wäre...
Nun kann inzwischen diese Hypothese endlich zu einer
fundierten Abschlussbetrachtung gebracht werden. Dazu
war eine praktische experimentelle Studie erforderlich, die
kürzlich in Hamburg an der
Alster durchgeführt werden konnte.
Der Vorausschlag ist gewaltiger als beim Wriggeln, (der
erste allerdings nicht, der hat eine Untersetzung, indem
man den Riemen unten an der Forkola anlegt) ...man muss
nur lernen, mit den weiteren Riemenschlägen die
Kurskorrektur so durchzuführen, dass der Vortrieb nicht zu
sehr verdorben wird. Ja, und dabei muss man dann auch
eine Steuerbewegung einleiten.
Und dann ist zu lernen und zu üben:
„Voraus"-, Voll Voraus" - „Zurück" -„Hinterschiff bei / ab"
Und für all das gibt es eine bestimmte Stelle an der Forcola,
mit der das mit dem Riemen am besten geht.
Ich habe sie auditiert, Ina Mierig hat recht! Sie hat wirklich
profunde Kenntnis und Erfahrung und man muss ihr
zustimmen:
Voga alla Veneta ist die wirkungsvollere Methode, eIn
solches Boot vorauszutreiben.
Das Ergebnis also kurz gefasst:
Wriggeln ist nicht alles!
Und ganz wichtig ist die
schnelle Reaktion zur
Kurskorrektur, besonders
wenn ein schon Hauch von
Wind die leichtfüßige
Gondel im Vorschiff am
Ferro oder im Hinterschiff
am Lateral des Gondoliere
plötzlich erfasst und eine
schnelle Kurskorrektur
aufzwingt. Und das muss
gelernt sein.
Schiffe sind ja weiblich. Die kapriziöse venezianische
Gondola ist gar ein besonderes Weib. Wer nur wriggeln
kann, kann sie vielleicht antreiben, nicht aber lenken.
Dieses Weib zu be-herrschen ist wie professionell Tango
tanzen.
Also lassen wir es so, wie das in Venedig anzutreffen ist.
Und von mir aus kann man auch die Gondeln weiterhin
schief bauen, wie es Dominico Tramentin erfunden hat.
Man sollte die alten Meister ehren. Und wenn man es sich
so angewöhnt hat, dann lassen wir es so und gewöhnen den
Nachwuchs auch wieder dran.
..Es ist ja nicht untersucht, ob die symmetrisch gebaute
Gondel in Verbindung mit der Vortriebsart Voga alla
Veneta nicht vielleicht doch auch ginge.
aber lassen wir das.
Und wenn man einmal in China für amerikanische
Vergnügungsparks Gondeln aus Plastik von der Stange
produzieren wird, dann wird man in der Großserie auch die
Symmetrie zur Rationalisierung nutzen, die Propulsion
optimieren und dem Gondoliere einen kleinen unsichtbaren
Außenborder unter den Hintern bauen und natürlich auch
ein kleines Bugstrahlruder. Der Riemen des Gondoliere
verkümmert dann zum dekorativen Joystick. Wie so
manches.
… Und dann ist alles nicht mehr so schön! Wo doch im
Schiffbau noch immer gilt: Durchs Schöne zum Guten!
Und schön ist sie ja, die Gondel. Also nehmen wir das
Schiefe gern mit in den Kriterienkatalog des Schönen. Es
gibt aber Leute, Spötter, Neider, die sprechen vom
Schiefbau..
Im Juni 2008 aus der Gondelvorschule
Klaus Schmitt