© Fischer- und Schifferverein Klingenberg e.V.
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Schifferhände Klaus Schmitt 2015
Schifferhände sind anders. Die Hände von alten Schiffern sind nicht so wie die von alten Männern schlechthin, nicht wie die von alten Landmenschen, Bauern oder Handwerkern. Sie haben eine andere Biographie, und damit eine andere Prägung. Wohl weil sie mit viel, viel Wasser in Berührung gekommen waren. Sie sind wirklich viel sauberer, ja und bei aller Kräftigkeit und Deftigkeit sogar am Ende viel zarter. Beginnt der Herbst, fährt man an den Main, wie es ja das Frankenlied schon empfiehlt. Nach der Sommer-hitze ist es ein Bedürfnis, auf das zurückzublicken, was in den Sonnen- tagen geschaffen wurde. Die erschöpfte Seele kann dort am Main die abgekühlte Landschaft einatmen, den frischen Nebel, die Würze der bunten Laubbäume, das blanke Wasser, den weinschwangeren Duft aus den Kellern. Es ist die Zeit, bei befreundeten Winzern Wein einzu-kaufen, und auch einmal über den Friedhof zu bummeln. Im Herbst hält in Dorfprozelten am Main eine Schiffsgemeinschaft ihre Jahresversammlung ab. Da kommen die Anteilseigner alle im „Anker" zusammen, ein Gasthaus in dem mehr Apfelwein als Bier ausgeschenkt wird, und in dem jeden Tag auf einer schwarzen Tafel mit Kreide - nicht die Vesperpreise, nicht die Sonderangebote - nein, die Wasserstände des Rheins notiert werden. Dorfprozelten ist ein Schifferdorf, und wenn hier - wie in einem Dorf selbstverständlich - jeder jeden in jedem Haus, auf jedem Schiff kennt, die Ankerwirtin kennt alle noch viel besser, bis in die Ehe- und Erb-streitigkeiten, ja bis in die Schiffs-hypotheken hinein. Die Schiffsgemeinschaft Frankenland" hat Schiffe bauen lassen und betreibt sie, um für ihre Mitglieder Geld für die alten Tage anzulegen. Und nun sind für die meisten Einleger diese alten Tage gekommen. Man versammelt sich, man ist sozusagen noch im Schifffahrts-Geschäft in dieser großen Familie der Mainschiffer, auch wenn man selbst nicht mehr auf dem Wasser ist, selbst kein eigenes Schiff mehr besitzt. Man freut sich auf ein Wiedersehen mit den alten Schiffer- genossen, erzählt viel vom Alt-werden und was dazu gehört. Dann kommt in der Versammlung eine erwartungsvolle Stille auf, und während der Geschäftsführer die Bilanzen vorliest, Erläuterungen zu notwendigen Reparaturen gibt, Per-sonalnöte, Frachtverläufe aufzeigt und Ausschüttungen vorschlägt, da kann man ganz unertappt die Gesichter dieser alten Männer betrachten, die ruhig gewordenen Augen, die nicht mehr so strengen Lippen, die entspannten Gesichtszüge und.... diese Hände. Große Hände sind es meist, grob geschnitzt. Auch wenn man selbst schon einen festen Händedruck hat, fühlt man doch manchen Druck dieser Hände noch fester, länger, sorgfältiger, so als wenn diese Hand etwas Wichtiges mitteilen will, etwas, das vielleicht bald nicht mehr mitgeteilt werden könnte.
Schwer sind diese Hände, knöchern die Gelenke. Ihre Haut ist innen wie Spaltleder, außen wie feines Per-gament, zart geadert, bläulich, rötlich, mit braunen Altersflecken. Fast durchsichtig zeichnen sie die Knochen, Adern und Strecksehnen ab. Das sind Hände, die schwielig wurden an den Ruderriemen, an Schrubbern, Besen und Teerquasten. Hände, die kräftige Muskeln entwickelten im Umgang mit Tauwerk und Ketten. Hände, deren Sehnen in einem festen Griff klammern mussten an Schorbäumen, Wurfankern, Scherstöcken, Luken und Merk-lingen. Hände, die auch schon mal schwarz waren von Teer, braun vom Roststoßen, ölig von Maschinen-arbeiten und fettig vom Kochen. Hände, die manche Narbe behielt, an denen mancher Nagel Schaden nahm und verkrüppelt blieb für immer. Es sind Hände, die gut geschult waren für wichtige und flinke Handgriffe an den Drähten und Tauen, an Pollern, an Spillköpfen, an Ankerwinden, an Schorbaumkne-beln. Hände die kräftig entschlossen mit Deckstoppern und Handspeichen hantieren, geschickt mit Flieger-haken und Schlaggert umgehen konnten, die zügig und kraftvoll mit der Schippe Ladung trimmen und bärenstark einen Oberrheiner Draht einholen konnten, die mit akro-batisch- elegantem Schwung in voller Fahrt mit dem Schöpfeimer Wasser ziehen konnten. Hände, die zur Verrichtung auch feinfühliger Arbeiten in der Lage waren, etwa am Haspel genau die Bewegung des Schiffes voraus-zuspüren, den Strom, die Wasser-tiefe, oder dem kippeligen Nachen